Die Wurzeln des byzantinischen Marienkults

Ziel des beantragten Projekts ist die Klärung von Ursprung und Charakter des byzantinischen Marienkultes durch Analyse aller Quellen bis zum Ende des Ikonoklasmus (843). Hierbei wird der chronologische Schwerpunkt im 6. Jahrhundert liegen, doch soll die gesamte frühbyzantinische Periode, vom diokletianisch-konstantinischen Zeitalter und der Gründung des neuen Rom bis zum Ende des Ikonoklasmus, untersucht werden.

Die Quellen lassen deutlich erkennen, dass der Marienkult ab dem Ikonoklasmus sehr populär wurde und dass Maria als die Fürbitterin für das "Römische Reich" angesehen wurde, doch treffen die Quellen keine Aussage darüber, welche ratio hinter der Idee von Marias Interventionsrolle steht. Die wissenschaftliche Literatur akzeptiert und betont die Rolle Marias als Fürbitterin, doch wurde ihre Funktion im byzantinischen sozialen Kontext nicht in ihrer gesamten Bandbreite bisher untersucht, was darauf zurückgehen mag, dass die Erklärung hierfür im Zusammenhang mit einem ersten Einschreiten Marias zugunsten Konstantinopels im Jahr 626 gesehen wurde. Zudem stimmt die bisherige Forschung darin überein, dass sich der Marienkult im Ambiente der griechischen Spätantike als Kompensation obsoleter Kulte für antike Göttinnen entwickelte, was eine unbefriedigende, im besten Fall komplementäre Erklärung des christlichen Marienkultes darstellt, für den es bisher evidentermaßen keine klare Vorstellung von seinem Ursprung und Charakter gibt.

Demgegenüber geht unsere Arbeitshypothese davon aus, dass die Vermittlerfunktion Marias der primäre soziale Faktor bei der Propagierung ihres Kultes war. Argumentativ geht das Projekt zum einen von der seit der Antike vertrauten, ja alltäglichen Praxis der Fürsprache und Vermittlung aus, zum andern die christliche Eschatologie. Am Beginn stehen Phänomene, die aus den Quellen erschließbar und in der Fachliteratur akzeptiert sind. Ein Vorgängerprojekt ("Das Bild der Frau und der Marienkult") zeigte, dass alle in den Quellen beschriebenen Handlungen, Gedanken und Gefühle wenigstens implizit den sozialen Status reflektieren. Diese Dimension byzantinischer Realität ist beispielsweise in den Hymnen des Romanos Melodos († vor 562) evident.

Die Methode ist grundsätzlich quelleninterpretativ in konventionellem Sinn, wenngleich der Zugang zum Material aus unterschiedlichen Richtungen erfolgt (Religions- und Kulturwissenschaften, Politologie, Soziologie) und auf die Lesetechnik zurückgreift, die in den gender studies angewandt wird.

Die Ergebnisse werden verdeutlichen, warum das Bedürfnis nach Vermittlung durch Maria seit den frühen Christen eine Dimension annahm, die die gesamte byzantinische Kultur prägte, und solchermaßen ein Phänomen zur Diskussion stellen, das den Byzantinern selbstverständlich war und der Nachwelt bislang entging. Darüber hinaus wird die derzeit dominierende "Göttinnen-Theorie" in Frage gestellt, und eine weitere Begründung für die Unterschiede des Marienkultes in Ost und West angeboten

Projektleiter 
Prof. Dr. Johannes KODER
Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien
Posgasse 7/1/3
A-1010 Wien
johannes.koder@univie.ac.at


Projektmitarbeiter:
Prof. Dr. Leena Mari Peltomaa
Institut für Byzanzforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Arbeitsplatz: Institut für Byzantinistik und Neogräzistik
Postgasse 7/1/3
1010 Wien
leena.mari.peltomaa@oeaw.ac.at

Beginn: 01.11.2007
Ende: 31.10.2010